Baronesse de Bode – Alfred Scheld

Baronesse de Bode

William S. Childe-Pemberton / übersetzt und kommentiert von Alfred Scheld – 2012

Ihre Briefe aus der Zeit zwischen 1775 – 1803

Eine vielköpfige Familie des Ancien Regime gerät 1789 ins blutige Mahlwerk der Französischen Revolution. Die Bodes verlieren ihre elsässische Saline und fast ihr Leben. Sie emi­grieren vom Oberrhein bis nach ­Petersburg und auf die Krim, erleiden trotz besonderer Protektion die unglaublichsten Abenteuer und kehren schließlich in der Enkelgenera­tion zurück – nach Freiburg. Vor dem Leser erblüht ein Panoptikum der dramatischen, fernen und doch so nahen Jahre um 1800. Madame, die Baroness, eine ungewöhnlich tapfere Frau, geht durch Höhen und Tiefen. Sie erkämpft für sich und ihre Kinder Plätze in der russischen Zarengesellschaft. Ihre Nachfahren kehren zurück und begründen in Freiburg das Colombi­schlösschen.

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Vorwort des Übersetzers

Ich bin durch einen Zufall auf dieses Werk gestoßen und war sofort angetan. Eine vielköpfige Familie des Ancien Regime gerät fast naiv ins Mahlwerk der Französischen Revolution, verliert Hab & Gut und fast ihr Leben, emigriert aus den elsässisch-badischen Landen bis nach Petersburg und auf die Krim, erleidet trotz ungewöhnlicher Protektion die unglaublichsten Abenteuer und kehrt schließlich in der Enkelgeneration zurück – nach Freiburg.

Der Stoff ist filmreif, die Briefe der Hauptfigur facettenreich, und so entsteht vor dem Leser ein Panoptikum der dramatischen, fernen und doch so nahen Jahre um 1800. Es ist erlebte Geschichte „von unten“. Was wir in Büchern lesen, weiss immer schon, wie es weiterging. Aber hier ist der Ausgang offen.

Wer je von ausschweifenden Feudalrechten gehört hat, vom gefahrvollen Rheinstrom vor Tulla, von der Guillotine in Straßburg, von Napoleon und der schillernden Zarin Katharina, von Tataren auf der Krim oderdem idyllischen Konvent Altenberg bei Wetzlar, von eitlem Adelsgetöse, Staffordshirepferden oder höfischen Festlichkeiten in Zwei- und Saarbrücken, Heuschreckenplagen und bösem Pöbel – der findet hier Farben über Farben.

Madame, die Baroness, eine ungewöhnlich tapfere Frau, leitet durch Höhen und Tiefen, gibt ein Muster an Überlebensfreude und erkämpft für sich und ihre Kinder Plätze vor allem in der uns doch fremden russischen Gesellschaft, wovor man nur den Hut ziehen kann.

Ich beschäftigte mich mit der Geschichte des Clans Le Bel in Pechelbronn im nördlichen Elsass, einer Erdöldynastie (Erdöl im Elsass, 2010), als mir spät einer ihrer Konkurrenten begegnete, eben jener Baron de Bode, dem das Schicksal nicht geneigt war. Er wurde von den ortsansässigen Ölbaronen in Bedrängnis gebracht und als Adliger von den jakobinischen Revolutionären knapp an der Guillotine vorbei ins Exil getrieben.

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Seine Geschichte schien mir exemplarisch für die vielen blaublütigen Emigranten am Oberrhein, welche in den 1790er Jahren selbstverständlich hofften, daß das Uhrwerk der Geschichte steckenbliebe und sich zu ihren Gunsten wieder rückwarts drehe. Ein hohes Tier wie der Straßburger Fürstbischof de Rohan, jener Hauptakteur des größten Skandals im Ancien Regime – der Halsbandaffäre von 1785 – saß intrigierend und konterrevolutionär im badischen Ettenheim und mit ihm von Basel bis Koblenz zehntausende von „Samt- und Seidentrianons“, die wieder Wachtelbrüstchen von Silbertellern speisen wollten.

Aber niemals ist die Geschichte eindeutig, niemals sind hie die Guten und dort die Bösen. Auch wenn die de Bodes von Geburt auf der Verwöhnseite standen und mit reicher Verwandtschaft gesegnet waren : Wer diese Briefe liest, lernt tüchtige Leute kennen, welche ihrem Gesinde gut waren und Hilfe und Achtung von jenen erfuhren.

Den Baron, seit Dezember 1788 (!) Besitzer eines ausgedehnten Guts im alten feudalen Stil in Soultz im sog. « buckligen Elsass’, dürfen wir uns als einen wackeren Mann von siebenundvierzig Jahren vorstellen. Er nimmt hohe Schulden auf und stürzt sich mit seiner englischen Frau in die Arbeit, um bald elf Kinder zu ernähren. Man lese das farbenreiche achte Kapitel ihres Einzugs in Soultz und die Zeremonie der Investitur ! Oder die erschütternden Augenzeugenberichte im elften Kapitel über den zunehmenden Terror. Er hofft, als entrepreneur sein Glück im Salinen- und Asphaltgeschäft zu machen, was eben ins Laufen kam und sich hoffnungsvoll anließ.

Aber er war historisch gesehen zu spät dran und am falschen Ort, nämlich im seit hundert Jahren französischen Elsass, gemäßigt zwar und königstreu, aber rasch von der Revolution ergriffen. Fünf mühevolle Jahre später, nach endlosen Gefahren und Angriffen auf seine Familie, war er ruiniert und durch eine üble Intrige ausgebürgert. Genützt hätte ihm alles nichts. Er, der sich mit dem schwarzen Gold sanieren wollte, hatte Pech. Da war er zweiundfünfzig und nur noch vier Jahre unter den Lebenden.

Während des Interims im heute noch bestehenden Kloster Altenberg bei Wetzlar ergreift seine Frau die Initiative und aktiviert alle Verbindungen, deren die Familie habhaft ist. Wie zehntausende anderer Heimatloser antichambriert sie bei der Zarin Katharina der Großen in Petersburg und kämpft zwei Jahre lang bei Hofe um das Recht, Siedler im neuen, potemkinschen Niemandsland am Schwarzen Meer zu werden.

Die Briefe geben einen Einblick in das fallenreiche, bunte Leben am Petersburger Hof mit einer widersprüchlichen Zarin und ihrem Favoritenstadel an der Spitze. Madame reüssiert, findet Unterstützung bei den badisch-württembergischen Großfürstinnen am Hof und vielen neuerworbenen Freunden, sie kann ihre Familie nachholen und ihre Kinder platzieren. Der Mann erliegt der Erschöpfung und einem südrussischen Fieber.

Sie kehrt 1801 mit der napoleonischen Restauration zurück ins Elsass in der Hoffnung auf Eintritt in alle ihre Rechte, so wie zwei Jahrhunderte später viele Zwangsenteignete nach dem Fall der Berliner Mauer. Aber die neue Zeit hat neue Regeln und mindestens ebenso gute Advokaten wie das Reichskammergericht. Der Fall Bode wird zur berühmten « Cause célèbre », vom Sohn und Erben noch bis Mitte des Jahrhunderts vor englischen Gerichten betrieben, von Charles Dickens unnachahmlich bissig persifliert – ohne Satisfaktion.

Madame stirbt 1812 in Moskau, am Vorabend des Eintreffens Napoleons, der mit seinem zusammengezwungenen Heer vor einem Feuerbrand steht und erstmals nach 16 Jahren Triumph scheitert. Ihre Nachkommen bekleiden in Russland hohe Ämter. Eine Enkelin wird durch Heirat eine verwitwete Colombi und läßt wenige zehn Jahre später in Freiburg das namensgleiche Schlösschen errichten, wo man heute edel speisen und logieren kann – wie ein moderner Adliger.

Die Briefe und die Kommentare von Childe-Pemberton aus dem Jahre 1900 eilen durch drei Jahrzehnte, in deren Mitte Weltkrieg herrschte, von 1793-1815, von Madrid bis Moskau, Neapel bis London. Sie beleuchten ein exemplarisches Schicksal unter Millionen : Enteignung, Vertreibung, Exil und sind auch heute noch gar nicht aus der Welt.

Ich habe in Kursivsatz Childe-Pembertons Anmerkungen ergänzt, nie modernisiert. Seine Kommentare atmen den Geist der britischen Aristokratie um 1900 und betonen die adligen Verwandtschaftsbeziehungen. Die Bildereinfügungen sind gegen das Buch von 1900 sämtlich neu außer den Porträts, welche als Kopien auch im Museum Bad Bergzabern hängen.

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Alfred Scheld, im Sommer 2010

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